Wenn von den Kompetenzen einer Führungskraft gesprochen wird, dauert es nicht lange, bis das Wort Kritikfähigkeit fällt. Diese wird vorausgesetzt, sie wird als Selbstverständlichkeit betrachtet, die jeder Mensch, der führen will, mitbringen muss.
Schwierig wird es jedoch, wenn man sich den Bereich Kritik einmal näher anschaut. Da bleibt vieles im Unklaren, und wenn es ernst wird, rückt die Fähigkeit zur Kritik in den Hintergrund.
Die Verwechslung von Kritik und Angriffen
Kritik ist wichtig für die menschliche Entwicklung, nicht nur für Führungskräfte. Schon als Kind lernen wir (im besten Fall), Kritik als konstruktiven Ansatz wahrzunehmen. Doch dafür brauchen wir Hilfe.
Eltern, die ihre Kinder sozusagen „einfach so“ immer wieder kritisieren und schlechtmachen, werden nicht dazu beitragen, dass aus den kleinen Menschen souveräne und kritikfähige Erwachsene werden. Leider ist das „Du-bist-nichts-und-du-kannst-nichts“-Prinzip aber weit verbreitet.
Und weil das so ist, finden wir diese Herangehensweise auch oft bei Erwachsenen vor. Das ist natürlich kontraproduktiv und führt zu keinen positiven Ergebnissen. Andererseits ist negative Kritik aus anderen Gründen problematisch.
Zum einen wird sie oft in aggressiver und angreifender Art und Weise geübt. Bei dieser Form der Kritik dauert es naturgemäß nicht lange, bis die persönliche Ebene betroffen ist. Derjenige, der so Kritik übt, verurteilt eher den zu Kritisierenden, er sieht ihn als ein defizitäres Wesen, das im Grunde seine Rolle gar nicht verdient.
Zum anderen kann es aber auch der Empfänger der Kritik sein, der nicht zwischen Sachlichkeit und persönlichen Angriffen zu unterscheiden vermag. Er reagiert dann abwehrend, beginnt, sich zu rechtfertigen und „schießt zurück“. Daraus kann wahrlich nichts werden.
Hierzu habe ich in diesem Artikel Führungskompetenz: Kritikfähigkeit geschrieben.
Zusammenfassung: Wenn aus (gerechtfertigter) Kritik persönliche Angriffe werden, nimmt das nie ein gutes und konstruktives Ende.
Kritikfähigkeit: Alles eine Frage der Reife
Wer Kritik übt oder annehmen will, muss eine recht stabile Persönlichkeit dafür mitbringen. Das heißt, er muss zahlreiche Erfahrungen in seinem Leben gemacht haben, die zu einem gewissen Reifegrad geführt haben.
Die oben bereits angesprochenen Kinder sind dafür ein hervorragendes Beispiel. Irgendwann in ihrem Leben erfahren sie das erste Mal Kritik, in aller Regel passiert das, wenn sie gerade dabei sind, Grenzen auszuloten. Sie wissen noch nicht, dass ihr Verhalten unerwünscht ist, und genau deshalb haben die Eltern eine besondere Verantwortung.
Kritikfähigkeit muss man also lernen. Und im besten Fall ergibt sich daraus das, was heute gern mit dem Begriff Resilienz umschrieben wird, also die Fähigkeit, nach Rückschlägen oder Niederlagen wieder aufzustehen. Das ist jedoch nur möglich, wenn im Vorfeld gute Arbeit geleistet wurde. Menschen, die eine ausgeprägte Resilienz haben, sind auch eher in der Lage, Kritik positiv aufzunehmen und angemessen darauf zu reagieren.
Persönliche Reife zeigt sich unter anderem an folgenden Eigenschaften:
- Selbstvertrauen
- Lebenserfahrung
- Eigenverantwortung
- Selbstkontrolle
Ja, und eben an Kritikfähigkeit. Die Tatsache, dass man schon sehr früh damit beginnen muss, Kritik auszuhalten, wird begleitet durch die Erkenntnis, dass der Prozess des Lernens in dieser Hinsicht niemals abgeschlossen sein kann.
Eine weitere Stufe auf dem Weg zur Kritikfähigkeit haben Führungskräfte erreicht, wenn sie zwischen sachlicher bzw. berechtigter Kritik und unsachlicher und auf die persönliche Ebene abzielende Kritik unterscheiden können.
Wer hier in der Lage ist, auf unsachliche Kritik sachlich zu reagieren und das Persönliche vom Pragmatischen zu unterscheiden, wird weniger angreifbar und kann sich auf konstruktives Verhalten fokussieren.
Wie Sie wertschätzend kritisieren können lesen Sie gerne hier:
Wertschätzen und kritisieren für Führungskräfte (Teil 1): Heute schon richtig wertgeschätzt?
Zusammenfassung: Kritikfähigkeit setzt eine gewisse persönliche Reife voraus, die schon möglichst früh aufgebaut werden muss.
Tipps, um Kritik anzunehmen
Von den hier beschriebenen Faktoren abgesehen, gibt es weitere Aspekte, die das Annehmen von Kritik erschweren oder erleichtern können. Einige davon sind diese:
Kritik erst einmal sacken lassen. | Um den Effekt zu veranschaulichen, denken Sie bitte kurz an eine Mail, die Sie bekommen. Diese Mail ist eine Frechheit, die Sie zur Weißglut bringt. Nun ist aber die Frage, ob berechtigt oder nicht. Diese Frage werden Sie voraussichtlich nicht innerhalb einer Sekunde beantworten können. Deshalb ist es ja auch ratsam, nicht spontan und impulsiv mit einer Entgegnung zu reagieren. Gönnen Sie sich also in vergleichbaren Situationen im Job die Zeit, um mit der Kritik sachlich umzugehen. Selbst wenn das Verhalten eines Mitarbeiters (so wie die Mail) eine Frechheit bleibt, können Sie darauf sachlicher und seriöser reagieren. |
Was löst die Kritik in Ihnen aus? | Was passiert in Ihnen, wenn Sie auf Kritik wütend oder aggressiv reagieren? Gibt es dafür tatsächlich sachliche Gründe, die mit der geäußerten Kritik zusammenhängen? Oder ist es eher ein Abwehrreflex, der Sie so aufregt? Versuchen Sie möglichst, Ihre Gefühle zu analysieren (was gar nicht so einfach, aber nicht unmöglich ist), hören Sie in sich rein und erkunden Sie Ihre emotionale Reaktion. Am Ende sollten Sie die Kontrolle über Ihre Emotionen haben, nicht Ihr Gegenüber. |
Nehmen Sie die „persönliche Note“ aus der Kritik heraus. | Weiter oben war die Rede davon, dass Führungskräfte „eine weitere Stufe“ der Kritikfähigkeit erreicht haben, wenn sie Persönliches von Sachlichem trennen können. Wie anspruchsvoll das ist, zeigt sich, wenn Kritik sehr persönlich und emotional geäußert wird. Die Aufgabe besteht in solchen Momenten nun darin, die Emotionen aus dem Gespräch möglichst herauszunehmen. Dem Gesprächspartner muss also vermittelt werden, dass auf diese Weise keine Lösung herbeigeführt werden kann. Doch der Hinweis, dass auf einer anderen, sachlichen Ebene über das Problem gesprochen werden kann und soll, kann beim Gegenüber erst recht Abwehrreaktionen erzeugen. Dann heißt es: Konsequent bleiben und vehement die sachliche Ebene ansteuern |
Ist die Kritik wirklich berechtigt? | Bei aller Selbstkritik und Kritikfähigkeit sollte eines nicht zu kurz kommen: die eigene Überzeugung. Natürlich ist es wichtig, sich selbst zu überprüfen, zu checken, ob die geäußerte Kritik berechtigt ist. Natürlich ist es wichtig, bei angebrachter Kritik sein Verhalten zu ändern, zumindest teilweise, wenn dies notwendig erscheint. Doch Kritik kann auch unangebracht sein. Und wenn das der Fall ist, brauchen Sie das Selbstvertrauen, das auch offen anzusprechen (was wieder ein Zeichen persönlicher Reife ist). Überspitzt formuliert könnte man sagen: Lassen Sie nicht jeden „Müll“ als berechtigte Kritik an sich heran. Wenn Sie schon alle Punkte reflektiert haben, können Sie auch durchaus zum Schluss kommen, dass der Mitarbeiter, der Sie kritisiert, auch komplett daneben liegen kann. |
Fast hätten wir noch eine Gruppe von „Kritikern“ vergessen. Und die ist gar nicht zu unterschätzen. Es sind die, die man auch als „Nörgler“ bezeichnen könnte. Sie kritisieren alles, was geht und erwarten dabei ständig, dass sie ernstgenommen werden, dass ihre Kritik angemessen behandelt wird.
Doch auch das gehört zum Job einer guten Führungskraft: Erkennen, wann Kritik angebracht ist, wann sie zwar nicht oder nur teilweise angebracht ist, aber behandelt werden muss. Und den Blick dafür zu schärfen, wann sie einfach nur absurd ist und unnötig Energie und Zeit raubt.
Gerade bei dieser letzten Gruppe der „Kritiker“ ist es wichtig, selbst nicht emotional zu werden, sondern pragmatisch, aber doch sehr klar deutlich zu machen, dass diese oder jene Kritik nicht konstruktiv ist und keine übermäßige Beachtung erfährt.
Zusammenfassung: Nicht jede Kritik ist gerechtfertigt. Dennoch müssen Sie als Führungskraft Energie darauf verwenden, herauszufinden, wo Kritik angebracht ist und wo nicht.
Ein weiteres „Rezept“ finden Sie hier: Führungskompetenz: Kritikfähigkeit
Sind Sie kritikfähig?
Kennen Sie die hier im Text behandelten Aspekte in Sachen Kritikfähigkeit? Haben Sie bereits Situationen erlebt, wo die Frage nach der Berechtigung von Kritik nicht eindeutig zu beantworten war?
Und wie kritikfähig sind Sie selbst? Wann und wie sind Sie an Ihre persönlichen Grenzen gestoßen, wo waren Sie womöglich ratlos und wussten nicht weiter?
Kritikfähigkeit ist weit mehr als die bloße Äußerung, man habe sie. Sie ist ein immer wieder neuer Prozess, währenddessen immer neue Fragen und Herausforderungen entstehen.
Ich bin gespannt auf Ihre Erfahrungen, die Sie gerne als Kommentar oder in Form einer persönlichen Mail schreiben können. Und – wer weiß – vielleicht macht es ja auch Sinn, in einem Gespräch tiefer in das Thema einzutauchen.
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Noch ein Lesetipp: Wie kritisieren Sie Mitarbeiter? 10 Beispiele + Checkliste
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