Es war Theodore Roosevelt (1858 – 1919), der die folgenden Worte sagte:
„Wer seiner Führungsrolle gerecht werden will, muss genug Vernunft besitzen, um die Aufgaben den richtigen Leuten zu übertragen – und genug Selbstdisziplin, um ihnen nicht ins Handwerk zu pfuschen.“
Dieses Zitat bringt den Konflikt von Führungskräften sehr schön auf den Punkt. Denn bei der Kritikfähigkeit verhält es sich ähnlich. Zu wenig davon führt im schlimmsten Fall zu Ungenauigkeiten oder lässt die Motivation von Mitarbeitern auf den Nullpunkt absinken. Zu viel davon behindert Entwicklungen wie Kreativität, Eigeninitiative und Mut, Neues auszuprobieren.
Klar, wer bei allem, was er tut, ständig auf Kritik stößt, wird sich irgendwann zurückziehen, „Dienst nach Vorschrift machen“ (wenn überhaupt), und über die Identifikation mit dem Unternehmen denken wir besser gar nicht erst nach. Oder eben doch!
Zuckerbrot und Peitsche?
Das Fraunhofer Institut, bei dem ich das Zitat von Roosevelt gefunden habe, hat auch eine Definition von Kritikfähigkeit. Unter „Unser Selbstverständnis“ heißt es:
„Führungskräfte, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind aufgefordert, gute Leistungen gegenseitig wertschätzend wahrzunehmen. Gleichzeitig muss berechtigte Kritik offen und ehrlich angesprochen werden, um das Erreichen der Ziele, die Qualität der Ergebnisse, die Effizienz der Arbeit und die Produktivität der Zusammenarbeit weiterzuentwickeln. Auch Führungskräfte müssen sich der Kritik stellen.
Bei Konflikten sind sie verpflichtet, besonders sensibel und fair zu handeln. Sie haben aufgrund ihrer Stellung in der Organisation nicht zwangsläufig Recht. Gleichwohl haben sie verantwortungsvoll wahrzunehmende Weisungs- und Entscheidungsbefugnisse.“
Wir stellen fest, dass Kritik in einem Absatz und Zusammenhang mit Wertschätzung genannt wird. Das ist gut, liegt doch beides näher beieinander, als man zunächst denken mag. Schließlich kann man Kritik am besten annehmen, wenn sie in einem wertschätzenden Rahmen geäußert wird. Das hat übrigens mit dem Klassiker „Zuckerbrot und Peitsche“ überhaupt nichts zu tun.
Vielmehr geht es um die Ausgewogenheit zugewandter Arbeit und konstruktiver Kritik. Besteht diese Ausgewogenheit, wird Kritik nicht als persönlicher Fehler betrachtet, sondern als kritischer Versuch, Dinge voranzutreiben und zu verbessern. Allerdings haben wir noch nicht über die Kritikfähigkeit von Führungskräften gesprochen. Das kommt jetzt.
Lobet und preiset den Chef!
Kritikfähigkeit? Überhaupt kein Problem! Und auch sonst ist alles im grünen Bereich. So sehen sich viele Führungskräfte jedenfalls selbst, das ergab eine Studie der „Initiative Zukunftsfähige Führung (izf)“. Nichts gegen gesundes Selbstvertrauen, aber dieselbe Studie ergab außerdem, dass die Zufriedenheit sich nur teilweise auf die Mitarbeiter überträgt.
Offenbar haben wir es hier mit einem Problem der Fremd- und Selbstwahrnehmung zu tun. Übrigens auch beim Thema Kritik. Im Rahmen der Studie gaben 67 Prozent der Führungskräfte an, ausgezeichnet mit Kritik umgehen zu können. Nur 38 Prozent der befragten Mitarbeiter sahen das ebenso. Eine Differenz, die zu denken gibt.
Eine andere Studie der Personalberatung Rochus Mummert, die den Titel „Emotionale Führung am Arbeitsplatz“ trägt, kommt zu ganz ähnlichen Ergebnissen wie die izf. Doch der Ansatz ist anders. Hier drehten sich die Fragestellungen vornehmlich um Diskrepanzen zwischen fachlichem und menschlichem Ausgangspunkt. Fachlich attestierten zwar viele Mitarbeiter ihren Chefs durchaus Kompetenzen. Menschlich allerdings stuften sie sie eher als überfordert ein.
Und auch die Stichwörter „Kritikfähigkeit“ und Wertschätzung“ fielen in der Studie. Die befragten Mitarbeiter bemängelten, die Wertschätzung seitens ihrer Vorgesetzten sei nicht ausgeprägt genug. Sie fühlten sich in ihrer Arbeit nicht ernstgenommen. Mangelnde Kritikfähigkeit hat die Stellung der Führungskräfte zusätzlich verschlechtert, denn genau das haben die Mitarbeiter zu großen Teilen empfunden.
Licht am Ende des Tunnels?
Bei der zweitgenannten Studie gab es einen Lichtblick. Denn sie ergab, dass bei Mitarbeitern coachende Chefs besonders gut ankamen. Neben den 59 Prozent der Befragten, die ihren Vorgesetzten gute fachliche Eignung zusprachen, waren 49 Prozent der Meinung, auch charakterlich gute Chefs zu haben. Damit punkten coachende Führungskräfte gegenüber anderen Führungsstilen deutlich. Und sogar 52 Prozent sagten, dass sie mit Problemen immer zu ihrem Chef gehen können.
Aber leider, leider ist auch bei dieser Studie und den coachenden Vorgesetzten bei der Kritikfähigkeit Schluss. Nur ein knappes Drittel war der Ansicht, dass ihre Führungskraft gut mit Kritik umgehen kann. Wir konnten das Licht am Ende des Tunnels also zwar sehen, aber nur kurz.
Was ist so schwierig an der Kritikfähigkeit?
Einerseits – und das bestätigen auch und gerade Führungskräfte – sind wir selbst uns die schärfsten Kritiker. Gerade Menschen mit Verantwortung innerhalb ihrer beruflichen Position neigen dazu, äußerst selbstkritisch mit sich ins Gericht zu gehen. Womit wir beim Kern der Problematik sind: mit sich selbst!
Es ist verhältnismäßig einfach, das eigene Handeln kritisch zu betrachten und entsprechende Schlüsse zu ziehen. Schließlich kommen die Erkenntnisse aus einem selbst heraus, wenn es also jemanden gibt, der Vorwürfe erhebt, dann die Person selbst. Kommt dann noch ein gewisses Maß an Perfektion hinzu, ist die Kritikfähigkeit an sich selbst überhaupt kein Problem mehr, dann wird kritisiert, dass sich die Balken biegen.
Problematisch wird es dagegen – und auch hier heißt es: insbesondere für Führungskräfte –, wenn die Kritik von außen kommt, von Mitarbeitern, die in der Hierarchie weiter unten stehen. Da kommt es dann immer wieder zur „Was-erlaubt-sich-dieser-Mitarbeiter-eigentlich-Haltung“. Statt das Problem selbstkritisch zu analysieren, werden äußere Umstände verantwortlich gemacht, also der Mitarbeiter, der nächsthöhere Vorgesetzte, und wenn gar nichts mehr geht, Ebbe und Flut oder die zu hohe Luftfeuchtigkeit.
Diese Art mit Kritik umzugehen, ist weniger Selbstkritik, sondern vielmehr Selbstbetrug. Zu sehen ist es sowohl bei Menschen mit einem eher geringen Selbstwertgefühl als auch bei solchen, die sich selbst am liebsten den Superman-Umhang überstreifen würden, so perfekt nehmen sie sich selbst wahr.
Die fließende Grenze zwischen Selbstkritik und Selbstzerfleischung
Selbstkritik und somit auch Kritikfähigkeit setzt also ein gesundes Selbstvertrauen voraus, ohne es damit gleich zu übertreiben. Zudem ist es wichtig, Probleme pragmatisch zu betrachten und nicht als persönliche Fehlleistung zu betrachten. Es wird nach Ursachen geforscht, und wenn sie gefunden wurden, beginnt die Lösungssuche.
Doch das ist noch nicht das Ende des Lernprozesses, den jede Führungskraft durchlaufen sollte. Denn im nächsten Schritt lauert eine weitere Gefahr: die Selbstzerfleischung. Kritik anzunehmen, kann nämlich auch darin gipfeln, sich selbst überhaupt nichts mehr zuzutrauen. Das kann zu Schuldgefühlen, Angst bis hin zu Minderwertigkeitskomplexen und Depressionen führen.
Als Fazit lässt sich festhalten, dass Kritikfähigkeit eine anspruchsvolle Aufgabe ist, die man nicht einfach so mitbringt. Sie muss erlernt und gepflegt werden, und es kommt auf die Ausgewogenheit an, weder in die eine noch die andere Richtung auszuufern. Gelingt das – und werden Fehler nicht als Mangel, sondern als Chance verstanden -, klappt es auch mit der Kritikfähigkeit.
Wie geben Sie Kritik? Wie gehen Sie mit Kritik um? Wie sieht die Kritikkultur in Ihrem Unternehmen aus? Ich freue mich auf Ihre Kommentare.
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